Die Salzwasser trinkenden Feldhasen (Lepus europaeus) vom Langenwerder

von Dr. Dieter Köhler (Berlin)

Auf Langenwerder lebt ein kleiner Bestand von ca. zehn Feldhasen. Die Tiere wechseln z.T. zwischen der Insel Poel und Langenwerder im Winter übers Eis oder durchqueren bei Flachwasser die Furt. Nur wenige Hasen überwintern auf der Insel.

Abb. 1 Feldhase beim Trinken auf der Sandbank
Feldhase beim Trinken auf der Sandbank (Foto: D. Köhler)

Eine auffällige Verhaltensweise der Feldhasen vom Langenwerder ist, dass sie ab und an am Strand Ostseewasser trinken. Über die Aufnahme von Meerwasser wurde von anderen Küstenvorkommen nicht berichtet. In der Feldflur gelingt es selten, die Tiere bei der Flüssigkeitsaufnahme zu beobachten. Ein Grund hierfür ist, dass sie einen Großteil ihres Wasserbedarfs aus der Nahrung decken. Häufig sind Häsinnen, die am Strand beim Trinken beobachtet werden. Vermutlich stillen sie somit den während der Laktationsperiode erhöhten Salz- und Flüssigkeitsbedarf. In der Umgebung der Insel beträgt der Salzgehalt des Ostseewassers 1,3 – 1,4 % und ist für den Menschen ungenießbar. Experimentell konnte an Feldhasen nachgewiesen werden, dass sie Wasser bis zu einem Salzgehalt von fast 2,5 % aufnehmen können. Die Leistungsfähigkeit der Nieren ermöglicht es also den Hasen, Meerwasser aus der Wismarbucht gefahrlos zu trinken, ohne dadurch die Ausgeglichenheit ihrer Wasserbilanz zu stören.

Häsin beim Trinken (Foto: D. Köhler)
Häsin beim Trinken (Foto: D. Köhler)
Abb. 3 Nach dem Trinken
Nach dem Trinken (Foto: D. Köhler)

Regelmäßig werden Jungtiere auf der Insel geboren. Ein wichtiger Setzplatz sind die Hecken am Stationsgebäude. Mit etwas Glück kann man von hier aus beobachten, wie die Häsin nach Sonnenuntergang ihren Nachwuchs aufsucht, säugt und leckt. Ende April erschien z.B. eine Häsin regelmäßig gegen 20:00 Uhr, um ihr Junges zu säugen. Bereits vorher lief das Kleine in der Umgebung des Säugplatzes umher und musste immer mal den Möwen ausweichen. Nach drei Minuten war der tägliche Kontakt zwischen Jung- und Muttertier beendet und die Häsin verschwand.

Abb. 4 Auf der Suche nach dem Setzplatz an der Station
Auf der Suche nach dem Setzplatz an der Station (Foto: D. Köhler)

Die in der Umgebung des Stationsgebäudes aufwachsenden Tiere zeigen oft eine geringe Scheu gegenüber dem Menschen. Im Gegenteil, sie sind ausgesprochen neugierig, alles Neue im Revier wird berochen: der frisch abgestellte Handwagen, die Fangreusen oder sogar der ruhig sitzende Mensch. Die Jungen untersuchten die im Geräteschuppen abgestellten Materialien oder inspizieren das Innere des Stationsgebäudes. Unmittelbar am Haus wechselnde Hasen sind keine Seltenheit und führen zu überraschenden Zusammentreffen von Mensch und Tier. Das vertraute Verhalten ist ein Gewöhnungseffekt, denn angefüttert werden die Hasen nicht.

Abb. 5 Junghase erkundet das Innere des Stationsgebäudes
Junghase erkundet das Innere des Stationsgebäudes (Foto: D. Köhler)
Abb. 7 Beschnuppern des frisch abgelegten Handwagens
Beschnuppern des frisch abgelegten Handwagens (Foto: D. Köhler)
Abb. 6 Langsames Erkunden des sitzenden Menschen
Langsames Erkunden des sitzenden Menschen (Foto: D. Köhler)

Bereits als Jungtier müssen die Kleinen lernen, den Attacken der Sturmmöwen auszuweichen, wenn sie z. B. in der Nähe des Säugplatzes umherlaufen. Auch die adulten Feldhasen halten, wenn möglich Abstand zu den, mit fortschreitender Brutzeit immer aggressiver werdenden Möwen. Doch kann sich dies auch ändern, wie das Verhalten einer Häsin am Strand zeigte. Sie brachte hintereinander fünf am Strand sitzende Möwen zum Auffliegen. Weshalb diese auffällige Änderung ihres Verhaltens? Das betreffende Beobachtungsjahr war im Frühjahr und Sommer recht trocken. Die Möwen litten unter Nahrungsmangel und jagten oft auf der Insel Feldmäuse, die offenbar eine Gradation hatten. Evtl. haben sie dabei versucht, junge Hasen zu erbeuten und bekanntlich können Häsinnen vehement ihren Nachwuchs verteidigen. Dieses aggressive Verhalten gegenüber den Möwen hatte die Häsin möglicherweise noch nicht überwunden.

Abb. 9 Häsin in der Nähe der Sturmmöwen
Häsin in der Nähe der Sturmmöwen (Foto: D. Köhler)
Abb. 8 Häsin beim Aufjagen von Sturmmöwen
Häsin beim Aufjagen von Sturmmöwen (Foto: D. Köhler)

Interessant sind die mehrfach beobachteten Interaktionen zwischen den Junghasen und den adulten Tieren. So baute sich ein junger Hase vor einem Erwachsenen auf, richtete sich auf und lief eine kurze Strecke weg, kehrte zurück und wiederholte dies bis der alte Hase ihm folgte. Kurze gemeinsame „Wettrennen“ zwischen den beiden Altersklassen konnten festgestellt werden.

Abb. 10 Verfolgungsspiel zwischen Alt- und Junghasen
Verfolgungsspiel zwischen Alt- und Junghasen (Foto: D. Köhler)

Auch auf dem nächtlichen „Sammelplatz“ auf einer kleinen offenen Sandfläche in der Wiese, wo bis zu vier Hasen gleichzeitig anwesend waren, kamen einzelne Junghasen. Durch die Aktivitäten der Hasen wurde diese Sandfläche über Jahre frei gehalten. Die Tiere jagten oder wälzten sich. Sie nahmen olfaktorischen Kontakt auf, vollführten Sprünge oder schlugen Haken auf engem Raum. An diesem Treiben nahmen einzelne Junghasen teil.

Nächtliches Treffen (Foto: D. Köhler)
Literatur: 
Brenning, U. & Nehls, H.W. (2013): Vogelinsel Langenwerder - 100 Jahre Naturschutz. Ornithol. Rundbrf. Mecklenburg-Vorpomm. 47, Sonderheft 2.
Köhler, D. (2013): Beobachtungen zum Meerwassertrinken und zur Ethologie des Feldhasen (Lepus europaeus) auf der Vogelinsel „NSG Langenwerder“.-Säugetierkdl. Inform. 9, 71-85.